Barrierefreiheit ist ein aktuelles Thema im Bereich der Webentwicklung, wird jedoch aus Funktions- und Kostengründen leider viel zu wenig beachtet. Doch was ist Barrierefreiheit überhaupt? Die Web Accessibility Initiative (WAI) definiert den Begriff folgendermaßen:
Web accessibility means that people with disabilities can use the Web. More specifically, Web accessibility means that people with disabilities can perceive, understand, navigate, and interact with the Web, and that they can contribute to the Web. Web accessibility also benefits others, including older people with changing abilities due to aging.
Auch im österreichischen Recht gibt es eine Definition dafür. So steht im Bundesgesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Bundes- Behindertengleichstellungsgesetz – BGStG) Folgendes:
Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind (BGStG §6 Abs. 5).
Eine Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist „die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten“ (BGStG §3).
Barrierefreie Webseiten sind somit Seiten, welche auch für Personen mit Behinderungen oder Einschränkungen zugänglich und benutzbar sein müssen. So soll auch Personen mit Sehbehinderungen (wie zum Beispiel Blinde oder Farbenblinde), motorischen Störungen (zum Beispiel Spastiker), invaliden oder älteren Personen der Zugang zum Internet nicht verwehrt bleiben.
Das österreichische Recht geht sogar so weit, dass es Barrierefreiheit für Behörden im E-Government-Gesetzes (E-GovG) gesetzlich vorschreibt. Der Gesetzestext besagt dabei Folgendes:
Bei der Umsetzung der Ziele dieses Bundesgesetzes ist Vorsorge dafür zu treffen, dass behördliche Internetauftritte, die Informationen anbieten oder Verfahren elektronisch unterstützen, spätestens bis 1. Jänner 2008 so gestaltet sind, dass internationale Standards über die Web-Zugänglichkeit auch hinsichtlich des barrierefreien Zugangs für behinderte Menschen eingehalten werden (E-GovG §1 Abs. 3).
Öffentlich zugängliche Webseiten von Behörden müssen somit ab 01.01.2008 barrierefrei sein. Dass dies in Österreich auch größtenteils umgesetzt wurde, zeigt zum Beispiel die Webseite des Bundeskanzleramts (http://www.bka.gv.at), welche sich seit Beginn des Jahres in einem neuen Design zeigt. Die Webseite funktioniert auch bei abgeschaltetem JavaScript und verwendet für das Design nun DIV-Elemente anstatt Tabellen. Die Verwendung der Webseite mit dem textbasierten Webbrowser Lynx ist ohne Weiteres möglich und zeigt, dass auch blinde Personen den Inhalt der Webseite über eine Braillezeile erfassen können.
Doch was bedeutet dies nun für den Einsatz von AJAX?
Werden barrierefreie Webseiten betrachtet, so kann festgestellt werden, dass diese ohne jeglichen „Schnickschnack“ auskommen. Dynamische Effekte und Interaktionen werden hier vergebens gesucht. Der Grund dafür ist, dass barrierefreie Webseiten ohne JavaScript funktionieren müssen. Laut einer Richtlinie von Wendy Chisholm (2000) muss bei der Verwendung von Skripten auf einer Webseite darauf geachtet werden, dass die Informationen auch bei deaktiviertem Scripting zugänglich bzw. auf einer alternativen Webseite erreichbar sind. Auch die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV) der Bundesrepublik Deutschland besagt in der Anlage zu §§ 3 und 4 Abs. 1 der BITV, dass sichergestellt sein muss, dass mittels Markup-Sprachen geschaffene Dokumente verwendbar sein müssen, wenn Script, Applets oder andere programmierte Objekte deaktiviert sind. Da AJAX jedoch eingeschaltetes JavaScript voraussetzt, bedeutet dies wohl auch das Aus für den Einsatz in barrierefreien Webseiten.
Bedient eine invalide Person beispielsweise ihren Computer mittels Sprachsteuerung, so können Probleme bei AJAX-Anwendungen auftreten. Beim Ausfüllen von Formularfeldern wird hier nicht mehr die Tastatur verwendet, sondern eine eigene Sprachsteuerungssoftware, daher sind JavaScript Event-Handler, welche Tastaturbefehle abfangen, wirkungslos. Google Suggest, welches den Event-Handler onkeyup verwendet, funktioniert bei der Verwendung einer Sprachsteuerung nicht mehr. Einen Suchvorschlag von Google wird der User hier ergebnislos erwarten.
Eine Möglichkeit, AJAX doch einzusetzen, wäre, vorher zu überprüfen, ob JavaScript im Webbrowser deaktiviert ist oder nicht und dementsprechend eine Webseite mit AJAX- oder ohne AJAX-Funktionalität zur Verfügung zu stellen. Amazon (2008) ist hier vorbildlich und realisiert auf diesem Weg zum Beispiel den Verkauf von Diamant-Ringen. Abbildung 1 zeigt die Webseite bei aktiviertem JavaScript und Abbildung 2 bei deaktiviertem JavaScript. Hat der Benutzer JavaScript aktiviert, so kann er die AJAX-Funktionalität der Webseite nutzen und die Suche nach einem Diamantring dynamisch anpassen. Bei deaktiviertem JavaScript kann er die Suche jedoch noch immer benutzen, indem er seine Suchbegriffe in normale Formularfelder eingibt.
Eine Webseite wirklich barrierefrei zu gestalten ist nur mit erheblich größerem Aufwand möglich, denn Barrierefreiheit bedeutet mehr als nur das Umgehen von JavaScript. Es beinhaltet genauso das Verwenden von lesbaren Schriften, abgestimmten Farben, logisch sinnvoller Navigation und einfacher Benutzbarkeit (Usability). Dies alles zu berücksichtigen ist nicht einfach und erfordert auch einiges an Know-how im Bereich der barrierefreien Webprogrammierung.
Vor diesem Problem stehen aber nicht nur Entwickler von AJAX-Anwendungen, auch Entwickler von traditionellen Webseiten haben mit den Problemen der Barrierefreiheit zu kämpfen. So müsste zum Beispiel auch komplett auf den Einsatz von Flash-Technologie verzichtet werden, da sehbehinderte Personen, welche den Inhalt der Webseite über eine Braillezeile wahrnehmen oder einen Screenreader verwenden, nichts mit Flash-Objekten anfangen können.
Barrierefreiheit ist ein aktuelles Thema auch aufgrund der österreichischen Gesetzeslage und des Drucks der Europäischen Union, welche die Gleichberechtigung von behinderten Personen immer stärker vorantreibt. Webentwickler, welche Webanwendungen programmieren, die barrierefrei sein müssen, sollten daher auf den Einsatz von AJAX verzichten oder eine alternative Webseite mit AJAX-Funktionalität anbieten.
Für weiterführende Informationen sei auf die Webseite der „Aktion Mensch-Initiative für barrierefreies Web“ verwiesen (http://www.einfach-fuer-alle.de).
Gastautor: Markus Mayer (Wien, Österreich) aus seiner Diplomarbeit.